The Police: Every Breath You Take

Ein kleines bösartiges Liedchen wird zu einem großen Erfolg

Man hätte ja eigentlich selbst daraufkommen können. Wie oft hat man dieses Lied mitgesungen, mitgepfiffen, diese eingängige, etwas leiernde Melodie über dem ewig gleichen Gitarrenriff und der laut aufschreienden Bridge, die in manisch wiederholte, gehämmerte Klavierakkorde mündet. Ja, man hätte sich dabei etwas denken können. Aber - ich gebe es zu, bei mir hat es nie geklingelt.

Es ist auch schwierig: Wo ist der Punkt, wo die Liebe und das Verlangen, mit dem anderen alles zu teilen, übergeht in die völlige Abhängigkeit, in die Besitzergreifung, und in den Kontrollwahn? Wird die Beziehung dann beendet, dann geht es oft nahtlos über in das, was man unter dem Stichwort Stalking kennt. Und hier wird leider immer noch zu wenig für die Opfer getan, deren Leben durch die Nachstellungen und den Psychoterror systematisch zerstört wird.

Dass es in Every Breath You Take um Stalking geht, hat Sting selbst bestätigt und man wird wohl nicht wirklich falsch liegen, wenn man einen Zusammenhang zur Trennung Stings von seiner ersten Ehefrau, der irischen Schauspielerin Frances Tomelty herstellt. Diese Trennung, die im Jahr 1984 in die Scheidung mündete, muss sehr schwierig und schmerzhaft gewesen sein, sicherlich auch, weil Stings neue Geliebte und spätere zweite Ehefrau Trudie Styler eine enge Freundin von Tomelty war. Sting schreibt dazu andeutend, dass es erlösend gewesen wäre den Song zu schreiben und dass es generell erlösend sei, Gefühle in Songs zu packen, da sie irgendwo hin müssten. Er sei sich nicht sicher, so Sting weiter, ob er sein Gefühl des Versagens überlebt hätte, wenn er es nicht als Popmusik verkleidet wieder loslassen hätte können. (1)


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Zur psychischen Belastung durch die Beziehungsirrungen und Wirrungen passt auch die Entstehung des Songs mitten in der Nacht, mehr oder weniger als Eingebung im Schlaf. Sting setzte sich sofort ans Klavier und brauchte dann nach eigenen Angaben noch eine halbe Stunde, bis Every Breath You Take fertig komponiert war.

Dieser kurzen Kompositionszeit steht der lange Zeitraum gegenüber, der nötig war bis Every Breath You Take aufgenommen war. Hierfür gab es mehrere Ursachen. Zum einen gab es in der Gruppe Police Spannungen, vor allem zwischen Sting und dem Schlagzeuger Stewart Copeland. die auch bei den Aufnahmesessions zu Every Breath You Take offen zu Tage traten und eine kreative Arbeit verhinderten. Zum anderen kämpften die drei Mitglieder von Police damit, dem Song ein Arrangement zu geben, das ihn in gewisser Weise veredelte. Denn man war sich einig, schon bessere Songs geschrieben und aufgenommen zu haben. Sting spricht davon, dass man den Liedtext genauso gut aus einem Reimlexikon hätte nehmen können, und auch die harmonische Anlage des Hauptteils wird von Sting als wenig einfallsreich bezeichnet. Es handelt sich dabei um einen Turnaround, wie er in der Tat in Hunderten anderer Popsongs auch vorkommt - eine Harmoniefolge mit dem Ablauf A - fis - D - E - A, oder in Stufen ausgedrückt: I - IVm - VI - V - I.

So kam dem Gitarristen Andy Summers die Schlüsselrolle zu. Er entwickelte - laut eigener Aussage von einem nicht näher bezeichneten Violinduett Béla Bartóks inspiriert - ein Gitarrenpattern, das dem Song den unverwechselbaren Klang verleiht. Eigentlich auch dies popmusiktypisch: gebrochene Dreiklänge unter Einbeziehung der None des jeweiligen Akkords (zum Beispiel: bei A-Dur wäre dies der Ton h, bei fis-Moll der Ton gis - in der Harmonielehre spricht man hier von add9-Akkorden), aber dennoch unverkennbar und die perfekte Ergänzung zum vorhandenen musikalischen Material.

Ungewöhnlich jedoch ist die formale Anlage in der klassischen American Popular Song Form, die auch AABA-Form genannt wird. Diese 32-taktige Liedform findet sich am häufigsten in den Liedern der Songschreiber der 1920er bis 1940er Jahre, die für die Broadway-Musicals komponierten und deren Songs oft zu Jazzstandards wurden. Man denke da an George Gershwin, Cole Porter, Richard Rogers und viele mehr. Für Popsongs wird diese Form eher selten verwendet. Wie man der folgenden Übersicht entnehmen kann, wird die AABA-Form insgesamt zweimal gespielt, umrahmt von einer Intro zu Beginn und einer Coda am Schluss und unterbrochen durch einen kontrastierenden C-Teil, der vielleicht am ehesten mit einer Bridge verglichen werden kann.

Teil Takte Text
A 8 Takte Intro
A 8 Takte "Every breath you take..."
A 8 Takte "Every breath you take..."
B 8 Takte "Oh, can't you see..."
A 8 Takte "Every move you make..."
C 10 Takte "Since you've gone..."
A 8 Takte Instrumental
A 8 Takte Instrumental
B 8 Takte "Oh, can't you see..."
A 8 + 6 Takte "Every move you make..."
A 4 + 4 + 4 + 4 + 4 Takte Coda - Repeat and fade out

Die Coda wird durch einen um 6 Takte verlängerten A-Teil vorbereitet, beziehungsweise hinausgezögert und bekommt dadurch den Charakter eines eigenständigen Schlussteils, was durch die Verkürzung der Länge der Abschnitte auf 4 statt 8 Takte unterstützt wird.

Der interessanteste Aspekt ist aber sicherlich der C-Teil, der den emotionalen Ausbruch und dadurch auch den Höhepunkt der Aufnahme darstellt. Er findet sich zentral in der Mitte des Songs und setzt sich durch die größere Lautstärke, die höhere Lage der Gesangsstimme und eine unvermittelt auftretende neue Tonart (F-Dur) von der umgebenden musikalischen Struktur ab. Auf diesen Ausbruch kann im Grunde nicht mehr folgen, als zwei sprachlose, instrumentale A-Teile, die von dem schon anfangs erwähnten manischen Hämmern eines einzigen Klavierakkords geprägt sind. Somit ist die AABA-Form der unterschwelligen, unterdrückten Emotion zugeordnet, der C-Teil im Zentrum der explodierenden, überbordenden Emotion.

Die Emotion ist sicherlich auch der Schlüssel zum Erfolg des Songs, auch wenn sie meist falsch gedeutet wird. Sting hat aber noch eine andere Erklärung für den Erfolg von Every Breath You Take, wenn er ihn als verführerisch und sexy und gleichzeitig Angst einflößend und böse bezeichnet. (2)

Ich bin im Übrigen nicht der Einzige, dem der düstere Unterton entgangen ist. Sting berichtet, dass er immer wieder Briefe von Paaren erhält, die Every Breath You Take als ihren Song bezeichnen und ihm dafür danken, dass er den Song geschrieben hat. (3) Ich hoffe dass jene Paare nie diesen Artikel lesen und sich ihre Illusion aufrecht erhalten können.

(1) Independent on Sunday, 02/02. Zitiert nach: http://www.thepolice.com/discography/album/every-breath-you-take-7-23591.
(2) The Independent, 9/93. Zitiert nach: ebda.
(3) New Musical Express, 6/85. Zitiert nach: ebda.

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  © 2024 by Jochen Scheytt

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.