1979
Die Amerikaner und ihr spezielles Verhältnis zu Waffen. Ein Phänomen, dem wir Europäer ziemlich rat- und fassungslos gegenüberstehen. Man kann es wahrscheinlich nur aus der amerikanischen Geschichte erklären; aus der Zeit, als die Pioniere und Siedler in der damals noch feindlichen Wildnis ständig um ihr Leben fürchteten, sich in ihrem Vorwärtsdrang Richtung Westen in den langen Auseinandersetzungen mit den Native Americans - damals noch Indianer genannt - befanden, und sich gegenüber diesen omnipräsenten Bedrohungen nur mit einer Waffe sicher fühlen konnten.
Trotzdem ist es unglaublich, wie jede neue US-amerikanische Regierung gegenüber der Waffenlobby einknickt. Und zu diesem Wahnsinn gehört auch, dass die NSA, die National Security Agency, auf der einen Seite in Abhöraktionen beispiellosen Ausmaßes riesige Mengen von Daten ansammelt und auswertet, mit der Begründung, dies diene der nationalen Sicherheit, und auf der anderen Seite die Regierung nichts dagegen tut, dass jeder Dahergelaufene mehr oder weniger problemlos eine oder mehrere Waffen kaufen kann. Und daran können anscheinend auch noch so viele sinnlose Schulmassaker etwas ändern. Der Waffenlobby und der Wirtschaftskraft ihres Gewerbes sei Dank.
Womit wir beim Thema wären. Es geht um Brenda Ann Spencer. Sie ist inzwischen 57 Jahre alt. Als sie 16 war, bekam sie von ihrem Vater als Weihnachtsgeschenk eine - man ahnt es vielleicht schon, und es ist tatsächlich so - eine Waffe, ein halbautomatisches Gewehr, Kaliber 22. Nur etwas mehr als einen Monat später, am 29. Januar 1979, schoss Brenda Spencer mit dieser Waffe aus aus ihrem elterlichen Haus auf die gegenüberliegende Grover Cleveland Elementary School, eine Grundschule in San Diego, Kalifornien. Sie tötete dabei den Schulleiter und den Hausmeister und verletzte acht Schulkinder und einen Polizeibeamten schwer.
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Ihre traurige Berühmtheit erlangte sie allerdings nicht nur wegen dieser Wahnsinnstat, die mehr als sechs Stunden dauerte, sondern wegen der lapidaren Begründung. Die soll sie noch während der Schießerei einem Journalisten gegeben haben, der sie einfach mal bei sich zu Hause anrief. Sie sagte: "I don't like Mondays. It livens up the day." Heute kann sie sich angeblich nicht mehr erinnern, den Satz jemals gesagt zu haben, aber er steht symbolisch für die Sinnlosigkeit dieser und anderer, ähnlicher Verbrechen.
Auch heute, 40 Jahre nach der Tat, sitzt Brenda Spencer noch in Haft. Sie war 1980 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Mehrere Gnadengesuche sind schon abgelehnt worden, das letzte 2009 (1). Die Schuld dafür trägt sie unter anderem selbst, gibt sie doch bei jedem Haftprüfungstermin andere Dinge zu Protokoll. Sie sagt zwar, sie sei ein anderer Mensch geworden, sei sich der Tragweite ihrer Tat bewusst, fühle eine Verantwortung für die seither begangenen ähnlichen Taten, für die sie ein Vorbild gewesen sein könne. Auf die Frage nach dem Motiv führt sie aber inzwischen Alkohol- und Drogenkonsum an, sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater an. Auch Verschwörungstheorien werden von ihr geäußert, in denen sie die Schuld für das Massaker gänzlich von sich weist. Ihre nächste Möglichkeit frei zu kommen ist 2021.
Noch im Jahr der Schießerei veröffentlichte die irische Popgruppe The Boomtown Rats den Titel I don't like Mondays, der auf Spencers Tat Bezug nimmt. Bob Geldof, der kreative Kopf der Boomtown Rats, schrieb den Song nachdem er in einem Studio eines Radiosenders miterlebt hatte, wie die Nachricht des Massakers aus der Telexmaschine ratterte - ein Bild, das er in seinem Songtext wiederverwendete. Wie Geldof in einem Interview berichtet (2), versuchte der Vater Brenda Spencers, ihn wegen des Songs zu verklagen. Außerdem erzählt Geldof dort, dass Brenda Spencer ihm aus dem Gefängnis geschrieben habe. Sie schrieb, dass sie froh sei, diese Tat begangen zu haben und dass sie ihm dafür danke, dass er sie damit berühmt gemacht habe. Dass ihn das belastet, ist wohl mehr als verständlich.
I Don't Like Mondays ist in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnlicher Popsong, der es schafft, bei aller Eingängigkeit eine latent bedrohliche Stimmung zu schaffen. Außerdem weicht der Song in mehreren Punkten von den üblichen Stereotypen des Popgeschäfts ab.
Schon allein das Intro des Songs ist bemerkenswert. Es wird wie der ganze Song vom Klavier dominiert und besteht aus mehreren Elementen. Es beginnt mit einem mehrmals angesetzten Glissando auf den schwarzen Tasten des Klaviers, das auf einem tiefen Basston (Es) endet. Dieser Basston wird nicht nur mit großer Lautstärke gespielt, sondern auch von den tiefen Streichern verstärkt, was ihm eine große Wucht verleiht. Über diesem nun liegenden Basston beginnt eine Folge von akzentuiert gespielten Quarten und Terzen, die sich in drei Gruppen von jeweils vier Akkorden nach unten bewegen. Unterbrochen werden diese Einheiten von je drei Schlägen des Basstones Es. Bis hierher wird das Intro ausschließlich auf den schwarzen Tasten gespielt und ist somit rein pentatonisch. Nach einem überraschenden Akkordwechsel (zwei Takte Amajor7 über Basston H) kommen wieder zwei Takte mit den Quarten und Terzen, bevor das Intro nach H-Dur, der Grundtonart des Songs abkadenziert.
Dieser Beginn wirft den Zuhörer förmlich in die Sphäre des Songs hinein, schafft eine bedrückende Atmosphäre, der man sich schwer entziehen kann. Es ist, wie wenn man in die Welt der Brenda Spencer eintaucht, die von den Klängen der Mollpentatonik geprägt ist, um dann mit dem Ende des Intro und der Kadenz nach H-Dur in der Realität anzukommen, der Erzählebene, in der die Ereignisse von außen geschildert werden. Der textliche Beginn des Songs wirkt wie eine nachträgliche Beschreibung dessen, was im Intro passierte.
Das Schlagzeug trägt wenig zur Rhythmik des Songs bei. Diese Aufgabe wird hier von Klavier und Streichern übernommen. Die Hauptaufgabe des Schlagzeugs sind dumpfe, untermalende Schläge auf den tiefen Toms, die meist mit dem Einsatz der tiefen Streichinstrumente korrespondieren.
Ein wichtiger Bestandteil des Arrangements sind die Streicher, die dem Song aber keinen Schmelz, keine Süße, und auch keine Lieblichkeit verleihen, sondern im Gegenteil zur Intensität des Songs beitragen. Dies wird dadurch erreicht, dass hauptsächlich tiefe Streichinstrumente den Klang dominieren. Die hohen Streicher werden vor allem in rhythmischer Funktion eingesetzt, spielen also weniger lange Töne oder melodische Phrasen, sondern eher akzentuiert gespielte, repetierte Noten. Im ersten Teil der dritten Strophe wird die hohe Klavierbegleitfigur zudem von pizzicato (gezupft) gespielten Violinen unterstützt.
(1) http://www.cbs8.com/story/10928307/school-shooter-brenda-spencer-denied-parole. Abgerufen am 24.7.2019.
(2) https://www.youtube.com/watch?v=xSFIPcwqGvw. Abgerufen am 02.01.2020.
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