Genesis: Jesus He Knows Me

Die Satire auf die Televangelists mit einem überzeugenden Phil Collins in der Rolle als dubioser Fernsehprediger

Zum Glück, oder man ist fast versucht zu sagen Gott sei Dank gibt es sie bei uns nicht. Die Televangelists, eine moderne Kreuzung aus television und evangelist. Selbsternannte Heilsbringer, die ihre frohe Botschaft von den Fensehschirmen verkünden. Anzutreffen ist diese Spezies hauptsächlich im protestantisch geprägten Süden der USA, dem sogenannten Bible Belt.

Der Song Jesus he knows me ist eine gelungene Satire auf diese Televangelists, die trotz der moralischen Appelle, die sie von sich geben, oft leider allzu menschlich sind. Dadurch machen sie immer wieder Negativschlagzeilen. Ende der 80er Jahre gerieten einige Televangelists in den Focus der Behörden, vor allem weil sie Spendengelder veruntreut hatten. All diese Skandale können aber anscheinend nicht verhindern, dass die Menschen sich diesen Predigern zuwenden. Diese Zuwendung ist dabei eben nicht nur seelisch-geistiger, sondern auch finanzieller Natur.

Man muss sich die Zahlen mal geben. Einer der einflussreichsten Prediger der 80er Jahre, Jimmy Swaggart hatte in seiner TV Show The Swaggart Hour bis zu 2 Millionen Zuschauer und die Spenden erreichten im Jahr die schwindelerregende Höhe von 150 Millionen Dollar (1). Bei solchen Summen ist es sicherlich kein Wunder, dass so mancher dieser TV Evangelists schwach wird und sich nicht nur saniert, sondern auch ein bisschen mehr leistet.


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Bleiben wir mal bei Jimmy Swaggart, der 1988 und 1991 mit zwei Sex-Skandalen Schlagzeilen machte. Er war beide Male mit einer Prostituierten erwischt worden. Das anschließende öffentliche Geständnis unter Tränen gehörte durchaus zur Show. Der Skandal kostete zwar einiges an Geld und Anerkennung, auch verlor Swaggart seine Ämter in den Assemblies Of God (2), aber die Menschen vergessen ja zum Glück recht schnell. Ein Blick auf die Webseite von Jimmy Swaggart zeigt dies deutlich. Mit TV-Sendungen in 50 Ländern, 70 Radiostationen, die rund um die Uhr senden, und 15 Millionen verkauften Gospel-CDs floriert das Unternehmen, in dem auch seine Frau, sein Sohn und sein Enkel aktiv sind (3).

Apropos CDs. Ein Großteil der professionell produzierten Fernsehsendungen besteht ja auch aus musikalischen Beiträgen. Jimmy am Flügel, mit großer emotionaler Geste singend, dazu auf dem Instrument präludierend, dezent und ab und an fetzig begleitet von einer solide groovenden Band und mindestens drei Gospel-Backgroundsängern. Ein Happening für die ganze Familie. Eine solche TV-Show wird auch im zu Jesus he knows me gedrehten Video mit Phil Collins in der Rolle des Televangelisten inszeniert.

In diesem Video wird allerdings nicht Jimmy Swaggart dargestellt, sondern Ernest Angley, wie Phil Collins mehrfach selbst bestätigt hat, unter anderem in der britischen Comedy TV Serie Room 101. (4) Collins schaute dessen TV-Show wann immer er im Süden der USA war und übernahm sowohl Angleys Akzent und Sprechweise, wie auch seine häßliche Perücke. Genau diese Perücke ist auch ein wichtiges Accessoire im Video von Jesus He Knows Me, in dem eine TV Show nach dem Muster der Televangelists inszeniert wird. Die Show läuft immer während des Refrains und zeigt die schöne Heile-Welt-Fassade, die Teil der Televangelisten-Welt ist. In den Strophen dagegen wird mit dem Blick hinter die Kulissen die moralische Verwerflichkeit der Televangelists (dargestellt auch von den anderen beiden Mitgliedern von Genesis) abgebildet. Dabei hätte die Darstellung der Verfehlungen gar nicht so offensichtlich sein müssen. Symbolisch hätte dafür schon die entsetzliche Perücke gereicht, die Collins trägt; ein Symbol für den ganzen Fake; für eine Inszenierung, die eigenlich leicht zu durchschauen sein müsste.

Dem Video beigegeben ist noch eine kleine Rahmenhandlung, in der dem Televangelist Collins angeblich von Gott aufgetragen wird, 18 Millionen Dollar an Spenden einzutreiben, was ihm am Ende des Videos auch gelingt. Solche Summen sind in dieser Branche auch heute nichts Besonderes. "And the money kept rolling in", (5) wie es in einem Song aus dem Musical Evita so schön heißt.

Allerdings gibt es seit einigen Jahren mit der Trinity Foundation und Ministry Watch zwei evangelikale Organisationen, die versuchen, schwarze Schafe unter den Televangelists zu finden und anzuzeigen. Ministry Watch spricht dabei sogenannte donor alerts, also Spendenwarnungen, aus, wenn Hinweise vorhanden sind, dass sich die Prediger bereichern. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Möglichkeit für die Televangelists, dem Evangelical Council for Financial Accountability (ECFA) (6) beizutreten und damit die finanziellen Transaktionen offenzulegen. Die Jimmy Swaggart Ministries oder die Ernest Angley Ministries sucht man auf dieser Liste vergeblich.

Noch ein Wort zu Ernest Angley. Der 1921 geborene und in Cuyahoga Falls im amerikanischen Bundesstaat Ohio praktizierende Angley ist 2020 immer noch am Leben. Mag man sich über seine Perücke und seine gekünstelte Sprechweise amüsieren, so hört der Spaß bei seinen angeblichen Wunderheilungen auf, vor allem die im Zusammenhang mit AIDS. Denn seine Veranstaltungen, die er in Lesotho in Südafrika hielt und in denen versprochen wurde, AIDS könne durch Gebete geheilt werden, sind höchst problematisch und scharf zu verurteilen. Durch Suggestionen dieser Art wird verhindert, dass die Präventionsprogramme erfolgreich sind, die auf eine Verhütung durch Kondome und geänderte Sexualpraktiken zielen. Denn es ist viel einfacher für die Betroffenen, nichts zu ändern sondern auf eine Wunderheilung zu hoffen. Die betroffenen Menschen in Afrika brauchen wirkliche Hilfe, und keine selbsternannten Wunderheiler.

(1) http://news.bbc.co.uk/onthisday/hi/dates/stories/february/21/newsid_2565000/2565197.stm Abgerufen am 30.3.2020.
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Jimmy_Swaggart.
(3) http://www.jsm.org/
(4) https://www.youtube.com/watch?v=7JHhXgqfKL0
(5) Rice, Timothy Miles Bindon. And The Money Kept Rollin' In (And Out) [Liedtext]. Universal/MCA Music Publishing GmbH.
(6) http://www.ecfa.org/CharterMembers.aspx

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  © 2024 by Jochen Scheytt

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.