Michael Bolton: Love Is A Wonderful Thing

Wieder mal ein Fall für die Gerichte - der Plagiatsfall Michael Bolton vs. Isley Brothers

Allen negativen Kritiken zum Trotz: Michael Boltons Love Is A Wonderful Thing ist ein richtig guter Popsong mit allem was dazu gehört, einer solide groovenden Rhythmusgruppe, einer auf dem Punkt sitzenden Bläsersection und einem gospelig angehauchten Backgroundchor. Der Song ist intelligent und dramaturgisch geschickt arrangiert und wurde von den besten Studiomusikern der späten 1980er eingespielt. Die Hornsection um Jerry Hey war damals schon legendär und Marc Russo von den Yellowjackets, der das kurze aber intensive Saxophonsolo beisteuerte, ist durchaus eine Hausnummer. Auch Bolton selbst, der ja oft eher als Balladensänger besticht, liefert eine leidenschaftlich intensive Performance ab, die das Gesamtpaket zurecht zu einem veritablen Hit der frühen 1990er werden ließ.

Ach ja, fast hätte ich es vergessen, natürlich gehört auch noch eine ins Ohr gehende Hookline dazu, die man im Innern weitersingt, wenn der Song schon längst vorbei ist. Doch genau da beginnt das Problem. Die Hookline von Love Is A Wonderful Thing stammt nämlich vom gleichnamigen Song der Isley Brothers aus dem Jahr 1964. Wenn man sich die beiden Aufnahmen vergleichend anhört, fällt die Gemeinsamkeit sofort auf.

Bei den Isley Brothers beginnt die Hookline synkopisch auf Schlag 2. Der erste Ton ("Love"), der gleichzeitig der höchste Ton der Dreiton-Phrase ist, wird eine halbe Note ausgehalten, der Rest der aus insgesamt sieben Noten bestehende Phrase zieht sich danach in Achtelnoten über zwei Takte hinweg. Die Hookline wird dann dreimal fast identisch wiederholt und ergibt so den Refrain. Bei Bolton beginnt die Hookline dagegen auf die 1 und ist aufgrund der kürzeren ersten Note ("Love") auf einen Takt komprimiert. Melodisch sind beide Hooklines bis auf einen Ton ("wonderful") identisch.


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So erkannte auch Ronald Isley seine Hookline sofort wieder, als er Michael Boltons Love Is A Wonderful Thing zum ersten Mal hörte - rund 27 Jahre nachdem die Isley Brothers ihren Song aufgenommen hatten. Er vergewisserte sich sofort, ob er auch in den Songwriting Credits verzeichnet war, wie er in einem Interview erläuterte:

"When I first heard his version of the song on the radio, I was really pleased. Then I went out to pick up the record and looked for my credit. I was upset because the credits weren’t on there. So we got in touch with his people and then he went into the “Oh, I didn’t know you all had a song like this.” That type of thing." (1)

Nachdem Versuche, eine Einigung zu erzielen, scheiterten, reichte Isley 1992 seine Plagiatsklage ein. Diese wurde dann zwei Jahre später nach einem Gerichtsverfahren entschieden und Bolton des Plagiats für schuldig befunden. Bolton und seine Anwälte legten Berufung ein und gingen sogar bis zum Supreme Court, der allerdings eine Begutachtung ablehnte und das Urteil somit rechtskräftig machte. Die Summe, die gezahlt werden musste, ist astronomisch hoch: 5,4 Millionen US-Dollar, aufgeteilt auf Michael Bolton selbst ($932,924), Co-Autor Andrew Goldmark ($220,785), ihre Musikverlage ($75,900) und Sony Music mit dem größten Anteil, nämlich $4,218,838. Es ist somit eine der höchsten Summen, die je in einem Plagiatsprozess gezahlt werden mussten.

So weit so gut, könnte man jetzt sagen, halt ein Plagiatsprozess wie schon viele andere davor und danach. Eines ist allerdings merkwürdig. Es finden sich im Internet einige Stimmen, die jegliche Übernahme in Boltons Song schlichtweg leugnen. So liest man verblüfft auf der normalerweise gut informierten Webseite www.songfacts.com:

"Members of the jury who heard the case must not have been Michael Bolton fans - the only glaring similarity between the two songs is the title; the lyrics are completely different, as is the melody." (2)

Ein gewisser Jeffrey Hennessy äußert sich in einem ansonsten sehr intelligent geschriebenen Artikel ähnlich, wenn er schreibt:

"Listening to the two songs consecutively, one would note similarities in the tempo as well as slight similarities in the lyrics." (3)

Im Anschluss wird in diesem Artikel nur Boltons Sichtweise dargelegt, nicht aber die Argumente, die die Klägerseite vor Gericht vorgetragen hatte und die maßgeblich dazu beigetragen hatten, dass Bolton des Plagiats für schuldig befunden worden war.

Bolton hatte argumentiert, den Song der Isley Brothers überhaupt nicht zu kennen. Das Gegenteil konnte ihm natürlich nicht bewiesen werden, aber Bolton hat einen überaus fundierten Background im R&B, hatte seine Karriere auch mit Cover-Versionen von R&B-Titeln begonnen und diese immer wieder auf seinen Alben integriert. Außerdem hatten sich Bolton und Roland Isley bei einer Veranstaltung im Jahr 1988 einmal getroffen. Als Isleys Frau die beiden einander vorstellen wollte, sagte Bolton wörtlich: "Hey, you don’t have to introduce me to him. I know all of his stuff from a kid on up." (4)

Bolton hatte außerdem argumentiert, dass er den Song nicht kennen konnte, da er kaum im Radio gespielt worden war, und wenn überhaupt, dann nur lokal. Außerdem sei der Song nie auf einer LP der Isley Brothers veröffentlicht worden, sondern 1966 nur als Single. Er hätte in den Charts auch nur Platz 110 erreicht. Vor Gericht konnte die Klägerseite aber drei Disc Jockeys vorweisen, die bestätigten, den Song damals über einen mehrere Wochen andauernden Zeitraum im Radio gespielt zu haben.

Dazu hatte Bolton ein "Work Tape" vorgelegt, das zeigen sollte, wie unabhängig er und Andrew Goldmark ihren Song komponiert hatten. Auf diesem Tape war allerdings bei genauem Hinhören zu hören, wie Bolton Goldmark fragte, ob der Song, den sie gerade schrieben Marvin Gayes Some Kind Of Wonderful wäre. Das Gericht sah dies als Beleg, dass Bolton sich der Möglichkeit bewusst war, hier zu plagiieren, aber nicht genau wusste, bei wem.

Hier kommen wir aber zum entscheidenden Punkt. Allem Anschein nach wusste Bolton nicht, wo er sich bediente und war sich auch nicht sicher, ob er sich überhaupt irgendwo bediente. Kann das dann ein Plagiat sein? Setzt dies nicht voraus, dass man absichtlich, oder wenigstens bewusst kopiert? Die Rechtssprechung kennt hierfür den Begriff "subconscious plagiarism", also unbewusstes Plagiieren. Hierbei wird also unterstellt, dass man den plagiierten Song irgendwann einmal gehört hat, eventuell vor längerer Zeit und ihn dann unbewusst zitierte. Schon George Harrison musste dafür büßen, in der Klage wegen seines Songs My Sweet Lord . Hierzu kann man stehen wie man möchte, aber im Grunde ist es wie mit dem Verkehrsschild, das man übersehen hat. Auch dies schützt nicht davor, den Strafzettel anschließend bezahlen zu müssen.

Somit bleibt wie immer in diesen Fällen ein fader Beigeschmack. Denn Boltons Love Is A Wonderful Thing ist ja viel mehr als die Hookline oder der daraus entstehende Refrain. Der Rest des Songs ist auch völlig eigenständig und hat mit dem Original nichts zu tun. Der oben schon genannte Jeffrey Hennessy argumentiert dann auch, dass sich Musiker oder Künstler allgemein immer bei Vorbildern bedienen und diese Einflüsse dann kreativ verarbeiten. Manchmal ist die Ähnlichkeit größer, manchmal auch nicht so konkret. Der Künstler begibt sich in einem kreativen Akt somit immer in die potenzielle Gefahr des unbewussten Plagiierens. Hennessy plädiert in seinem Artikel darum für eine Art Open Source Denken, in dem kreative Ideen aufgenommen und eigenständig weiterentwickelt werden dürfen. Im Grunde eine gute Idee. Doch wo zieht man die Grenze, ab wann ist es eine Kopie? Wie kommt man dann denen bei, die die Ideen anderer skrupellos klauen, um davon zu profitieren?

Michael Bolton auf jeden Fall fühlt sich nicht schuldig, und ihm sei der Fairness halber das letzte Wort hier gestattet: "It will always be my song. It's a song I created with Andy Goldmark word-for-word, note-for-note, I'm proud of the song and it's part of me. It's a travesty that I'll have to learn to live with." (5)

(1) Billboard Magazine: Isley Feels Vindicated In Bolton Case. https://www.billboard.com/music/music-news/isley-feels-vindicated-in-bolton-case-80552/. Abgerufen am 9.3.2023.
(2) https://www.songfacts.com/facts/michael-bolton/love-is-a-wonderful-thing. Abgerufen am 9.3.2023.
(3) Hennessy, Jeffrey. Michael Bolton vs The Isley Brothers. https://boltonvsisley.wordpress.com/2014/11/17/michael-bolton-vs-the-isley-brothers/". Abgerufen am 9.3.2023.
(4) Billboard Magazine, ebda.
(5) Zitiert nach: https://www.songfacts.com/facts/michael-bolton/love-is-a-wonderful-thing. Abgerufen am 9.3.2023.

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  © 2024 by Jochen Scheytt

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.