Elvis Presley: Love Me Tender

Die unstillbare Gier - mit welchen "kreativen" Methoden sich Elvis Presleys Manager Colonel Tom Parker bereicherte

Der Aufstieg von Elvis Presley zum Superstar vollzog sich kometenhaft. War Elvis Anfang des Jahres 1956 noch ausschließlich in Memphis und Umgebung bekannt, änderte sich dies schon bald durch Auftritte in diversen populären Samstagabend-Fernsehshows, die ihm sein Manager Colonel Tom Parker vermittelt hatte. Doch schon bald begann sich Widerstand zu regen und je heftiger ihn die Jugendlichen, und hier vor allem die jungen Mädchen, verehrten und anhimmelten, desto mehr lehnten ihn konservative Kreise ab. Die Gründe sind bekannt: sein Beckenkreisen, seine an den Vokalstil der Afro-Amerikaner gemahnende Art zu singen, sein Widerstand gegen die Spießergesellschaft symbolisierender Haarschnitt, und nicht zuletzt seine Dickköpfigkeit, nichts von alledem aufgeben zu wollen, so sehr man ihn auch bedrängte.

Elvis entwickelte sich in diesem Jahr 1956 zu einer Gelddruckmaschine. Die Plattenverkäufe schossen in die Höhe, bei den Konzerten lag ihm das Publikum geradezu zu Füßen und jeder wollte am Phänomen Elvis teilhaben. Elvis' Manager, der Colonel, der mit 25% an Elvis' Einnahmen beteiligt war, sah aber durchaus noch Potential. Er war Spieler, so dass er das Geld durchaus benötigte, wie Elvis im Übrigen selbst auch, dessen Lebensstil sich den hohen Einkünften sehr schnell anpasste.

So war es eine glückliche Fügung, dass Elvis schon immer von einer Filmkarriere geträumt hatte. Denn für die Rollen in den Filmen konnte Elvis aufgrund seiner Popularität viel Geld verlangen, und gleichzeitig konnte der Colonel Elvis mehr in Richtung Mainstream befördern und sein Image als Rock'n'Roll-Revoluzzer aufweichen. Als zahmer und seriöser Schauspieler konnte Elvis nämlich per se ein größeres Publikum ansprechen, was wiederum mehr Geld in die Kasse brachte.


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Dieser Anpassungsprozess machte auch vor der Musik nicht halt, denn Elvis sang natürlich auch in den Filmen einige Lieder. Für seinen ersten Film, der kurz vor der Veröffentlichung von The Reno Brothers in Love Me Tender umbenannt wurde, wählte man insgesamt vier Songs aus - einer davon war Love Me Tender. Und dieser Song war geradezu ein Gegenentwurf zu Elvis' Rock'n'Roll-Songs. Nun hatte Elvis bis dahin natürlich nicht nur Rock'n'Roll gesungen, sondern auch Country Musik und Balladen und diese Stile oft in seiner eigenen Art verknüpft. Trotzdem war Love Me Tender anders.

Elvis durfte nicht auf seine übliche Begleitband zurückgreifen und spielte den Song nur von akustischer Gitarre und mehrstimmigem Backgroundgesang begleitet ein. Die Aufnahme ist von großer Simplizität. Alle drei Strophen sind identisch gestaltet und bieten keinerlei Dramaturgie. Zwischenspiele, Soli oder formale Besonderheiten fehlen völlig, die drei Strophen werden übergangslos aneinander gehängt. Die Gitarrenbegleitung besteht nur aus Viertelnoten, wobei auf Schlag 1 und 3 ein Basston und auf Schlag 2 und 4 ein leicht arpeggierter Akkord gespielt werden. Der Backgroundgesang, der stets bei der Refrainzeile einsetzt, singt reine Vokalisen. Die Aufnahme setzt also ganz auf Elvis' ausdrucksstarke stimmliche Gestaltung.

Elvis sang Love Me Tender zum ersten Mal öffentlich am 9. September 1956 in der Ed Sullivan Show im reichweitenstarken Samstagabendprogramm, noch bevor die Single zu kaufen war und noch bevor der Film in die Kinos kam. Und der Song schlug ein. Noch vor der Veröffentlichung gingen über eine Million Vorbestellungen ein, was den Impact von Elvis noch einmal mehr als verdeutlicht. Die Dimension dieses Erfolgs kann man auch an folgenden Zahlen ablesen: Am Ende des Jahres 1956 hatte - wie das Wall Street Journal berichtete - das Presley-Imperium 22 Millionen Dollar an Merchandising zusätzlich zu seinen Plattenverkäufen umgesetzt. (1) Eine unvorstellbare Summe für die damaligen Verhältnisse. Die Marke Presley hatte eine Marktmacht erreicht, die es dem Colonel Parker ermöglichte, immer höhere und vor allem abenteuerlichere Forderungen durchzusetzen. Der Colonel hatte nämlich erkannt, dass man mit dem Besitz von Songrechten langfristig und dauerhaft Geld verdienen konnte.

Die Frage der Rechte im Musikbusiness ist eine komplexe, nicht umsonst spezialisieren sich Anwälte auf dieses juristische Themengebiet. Ganz vereinfacht gesagt gibt es das Urheberrecht, das den Komponisten und Textdichtern eines Musikstücks die grundsätzlichen Rechte an Komposition und Text einräumt, so dass sie von den Tantiemen oft gut leben können, sollte sich ein Song als erfolgreich herausstellen. Dann gibt es die Verlagsrechte, die beim Musikverlag liegen, der den Song veröffentlicht. Und schließlich gibt es Aufnahmerechte an der speziellen Aufnahme eines Songs. Diese lagen im Fall Elvis Presley bei der Plattenfirma RCA. (2) Anders die Verlagsrechte. Aufgrund der Marktmacht konnte Parker durchsetzen, dass Elvis nur Songs aufnahm, die bei einem seiner eigenen Musikverlage verlegt worden waren, die nur zu eben diesem speziellen Zweck gegründet worden waren. Diese Verlagsrechte waren ein wichtiger Bestandteil der Einnahmen des Elvis-Imperiums.

Doch der Colonel wollte mehr. Und kam auf die glorreiche Idee, sich bei den lukrativen Urheberrechten zu bedienen. Doch wie sollte das gehen, wenn Elvis gar keine Songs komponierte oder textete und nur fremdes Material interpretierte? Der Colonel wusste auch hier einen Weg: Man zwang die Urheber der Songs, die Elvis aufnehmen wollte, auf 50% ihrer Urheberrechte zu verzichten. Eigentlich ein komplettes Unding, doch viele Komponisten und Texter ließen sich darauf ein, denn 50% der Tantiemen eines erfolgreichen Elvis-Songs war immer noch mehr als gar nichts und diese 50% konnten im Lauf der Jahre zu stolzen Summen anwachsen. Und so steht heute noch bei vielen Songs Elvis mit als Komponist und Textdichter in den Listen der Verwertungsgesellschaften, obwohl er nicht im Geringsten daran beteiligt war.

So auch bei Love Me Tender. Doch bei Love Me Tender handelt es sich nicht um eine Neukomposition, sondern um eine Melodie, die um 1860 von einem jungen englischen Immigranten mit Namen George Poulton komponiert worden war und Aura Lee hieß. William Whiteman Fosdick hatte den Liedtext beigesteuert. Es handelte sich dabei um eine sentimentale Ballade, die im Umfeld der Minstrel Shows sehr populär wurde und diese Popularität in den Folgejahren im US-amerikanischen Bürgerkrieg, als Barbershop-Song und als Filmsong beibehalten konnte. Das Urheberrecht war inzwischen abgelaufen, so dass sich der Song 1956 in der Public Domain befand, also rechtefrei war.

Der musikalische Leiter des Elvis-Films Love Me Tender, Ken Darby, der auf der Suche nach einer Ballade für den Film war, stieß auf Aura Lee und verpasste dem Lied einen neuen Text. Die Melodie ließ er unangetastet, beanspruchte aber trotzdem Bearbeiter-Rechte (wofür, ist nicht ganz klar, da keine einzige Note der ursprünglichen Melodie verändert wurde). Darby stieß die Tatsache, dass er die Bearbeiterrechte an der Musik und die Rechte am Text zur Hälfte an Elvis abgeben musste, allerdings sehr sauer auf, so dass er beschloss, nicht sich selbst, sondern seine Frau Vera mit ihrem Mädchennamen Matson als Bearbeiterin und Textdichterin bei den Verwertungsgesellschaften einzutragen. Auf die Frage, warum er dies tat, antwortete er zeit seines Lebens mit einem trockenen "Well, she didn't write it either!". (3) Besser kann man die Absurdität dieser Praxis nicht zusammenfassen.

(1) https://www.graceland.com/1954-1957. Abgerufen am 2.10.2021.
(2) https://www.elvispresleymusic.com.au/ep-music.html. Abgerufen am 2.10.2021.
(3) Hall, Roger Lee. The Truth behind "Love Me Tender". Abgerufen am 2.10.2021.

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  © 2024 by Jochen Scheytt

Jochen Scheytt
ist Lehrer, Pianist, Komponist, Arrangeur, Autor und unterrichtet an der Musikhochschule in Stuttgart und am Schlossgymnasium in Kirchheim unter Teck.