1998
Es war der 7. April 1998 um kurz vor 17 Uhr, als George Michael wegen unsittlichen Verhaltens verhaftet wurde. Die öffentliche Toilette im Will Rogers Memorial Park im noblen Beverley Hills war Ziel eines verdeckten Polizeieinsatzes mit Beamten in Zivil, da sich Anwohner darüber beschwert hatten, dass es im Park vermehrt zu unsittlichem Verhalten gekommen sei. Darüber, was sich genau in der Toilette abgespielt hat und damit Anlass zur Verhaftung gab, gibt es konträre Darstellungen von George Michael und der Polizei.
Man will es eigentlich auch gar nicht so genau wissen, obwohl - interessant wäre schon, inwiefern das Vergehen so schwerwiegend war, dass es eine Verhaftung rechtfertigte. Die Polizei hielt sich 1998 logischerweise bedeckt. Mehr als dass der Polizist Marcelo Rodriguez Mr. Michael bei einer unzüchtigen Aktion allein in der Toilette beobachtet hatte ("engaged in a lewd act") (1) erfuhr man von dieser Seite nicht.
George Michael war in dieser Hinsicht schon gesprächiger und stellte in einem Interview noch im selben Jahr das Geschehen als eine Art Falle dar, die man ihm gestellt hätte, da ihm der laut Michael ziemlich attraktive Marcelo Rodriguez direkt in die Toilette gefolgt sei: "What did the guy do? This is the nicest way I can put it; I don’t want to be graphic and nasty. He played a game called ‘I’ll show you mine, you show me yours and then I’ll take you down the police station’." (2)
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Michaels damaliger Partner Kenny Goss schaffte es zwar noch am selben Abend, ihn gegen $500 Kaution aus dem Polizeigewahrsam zu holen. Dennoch hatte dieser Vorfall weitreichende Folgen für alle Beteiligten. Eine erwartbare Folge war, dass George Michael vor Gericht gestellt wurde, wo er die Aussage verweigerte und zu einer Geldstrafe von $810 und 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde.
Weniger erwartbar war allerdings die Reaktion von George Michael selbst. Anstatt sich das Büßergewand überzustreifen, ging er auf unerwartete Art und Weise in die Offensive und das in gleich mehrfacher Hinsicht. So nutzte er den Vorfall für ein selbstbewusstes Coming Out. Es hatte schon viele Jahre Gerüchte über seine Homosexualität gegeben, die von ihm allerdings nie bestätigt worden waren. So wusste auch nur sein allerengstes Umfeld davon. Aus Angst vor der damals um sich greifenden AIDS-Gefahr hatte Michael seine Eltern, vor allem seine Mutter, nicht eingeweiht. Zu groß wären ihre Angst gewesen, vor allem auch weil Michaels erster gleichgeschlechtlicher Partner, der brasilianische Designer Anselmo Feleppo 1993 an den indirekten Folgen einer AIDS-Infektion gestorben war.
Doch das Verstecken der eigenen sexuellen Orientierung hatte langfristig Konsequenzen für Psyche und Körper. So nutzte Michael den Vorfall in der Park-Toilette, um diese psychische Last abzuwerfen. Ein mutiger und auch bemerkenswerter Schritt. Er ging sogar so weit, den Vorfall umzudeuten: Es war kein böser Zufall, erwischt zu werden, sondern ein quasi unbewusst herbeigeführter Akt, um das Outing nicht mehr länger hinausschieben zu können. (3) Der Schachzug ging auf. Anstatt eines Karriere-Knicks bekam er für sein Outing, den offenen Umgang damit und das nachfolgende Engagement für LBGTQ-Bewegung viel Sympathie und Achtung.
Doch damit nicht genug. Es folgte auch noch eine künstlerische Aufarbeitung, die es in sich haben sollte: Der Song Outside und das zugehörige Musikvideo. Outside war die erste Single, die George Michael nach dem Vorfall veröffentlichte. Sie war Teil des Albums Ladies and Gentlemen, eines Best-Of-Albums, das im November 1998, ein gutes halbes Jahr nach dem Coming Out, erschien. Outside ist eine direkte Antwort auf den Vorfall, was man aber der Musik nicht anhört. Es ist ein glitzernder Dance-Track, bei dem die Spielfreude aller Musiker aus jeder Pore des Songs dringt. Es ist im Grunde eine einzige Befreiung und ein jubelndes Disco-Fest.
Die Verweise auf den "lewd act" sind deutlich hörbar, sofern man den Hintergrund zum Song kennt. Da ist der Beginn mit einigen Sekunden Polizeifunk und einer Polizeisirene, zwei Elemente, die im Song an anderer Stelle wiederkehren. Da ist die Textzeile "And yes, I've been bad, [...] I'd service the community, but I already have you see", (4) die direkt auf den Vorfall und die verhängte Strafe der gemeinnützigen Arbeit verweist. Und schließlich sind da die vielen Referenzen an George Michaels Verheimlichung seiner Sexualität, die nun nicht mehr verborgen ("I'm done with the sofa, [...] hall, [...] kitchen table") (5), sondern öffentlich sein soll ("outside"). (6) Michael singt diese Auftaktzeilen in einer für ihn untypischen tiefen Lage, in der man seine Stimme erst fast nicht erkennt, fast wie ein Alter Ego. Erst bei der Zeile "in the sunshine", wenn Michael in seiner gewohnten Stimmlage singt, hat man den alten, beziehungsweise neuen George Michael vor sich.
Den Gipfel stellt allerdings das Musikvideo zum Song dar, das den Vorfall in der Toilette ganz zu Beginn nachstellt und diesen dabei auf satirische Weise aufs Korn nimmt, indem man sich nicht in einem Musikvideo wähnt, sondern in einem schlechten Porno. Während ein Vorspann mit erfundenen skandinavisch klingenden Namen läuft, sieht man einen Mann auf einer öffentlichen Toilette, dem sich eine üppige Blondine in eindeutiger Absicht nähert. Das ganze wird untermalt von süßlichen Saxophonklängen. Doch plötzlich geht das Bild der Blondine in das Bild einer älteren Polizistin und eine direkt in dei Kamera gehaltene Polizeimarke über. Nach einem eingeblendeten Schriftzug Hollywood in der Einfärbung der Farben der US-amerikanischen Nationalflagge und einem kurzen Ausschnitt aus der US-amerikanischen Nationalhymne geht der eigentliche Song erst los. Zum instrumentalen Intro von Outside sieht man den Mann aus dem Vorspann von der Hubschrauberperspektive aus, wie er von mehreren Polizisten aus der öffentlichen Toilette gezerrt und in ein bereitstehendes Fahrzeug verfrachtet wird.
Im Video geht es in der Tat nur um das eine: Man sieht verschiedene Liebespaare jeglicher Couleur an verschiedenen Orten in Aktion - dabei immer wieder im Look einer Polizeikamera gefilmt und am Ende des Videos von zwei Polizisten festgenommen, die sich im Anschluss an die Festnahme leidenschaftlich küssen - eine herrliche Pervertierung. Ein weiterer Höhepunkt ist die Verwandlung der schäbigen öffentlichen Toilette in eine Disco mit glitzernden Urinalen in bester Sieben-Gegen-Chicago-Manier. (7) George Michael tanzt und singt im US-Cop-Outfit, unterstützt von leicht bekleideten Tänzerinnen und Tänzern. Der Ort seiner Erniedrigung umgedeutet als Ort des Triumphs.
Kein Wunder, dass dies demjenigen, dem der Fisch ins Netz gegangen war, mehr als sauer aufstieß. Marcelo Rodriguez bestritt die von George Michael im Interview geäußerte und im Video so offensiv bestätigte Darstellung, er wäre zuerst aktiv geworden und verlangte Schadensersatz. Sein Anwalt begründete die Verleumdungsklage damit, dass Rodriguez emotionaler und psychischer Belastung ("emotional and mental distress") (8) ausgesetzt sei, der seine mentale Stabilität beeinträchtige und dazu führe, dass er seinen Beruf als Polizist nicht mehr wie gefordert ausüben könne. Außerdem sei er in die Rolle des Opfers gedrängt worden und Michael hätte auf seine Kosten profitiert. (9) Rodriguez forderte 10 Millionen US-Dollar. Die Klage wurde allerdings mit der Begründung abgewiesen, als Angehöriger des öffentlichen Diensts könne er von Rechts wegen keinen Schadensersatz wegen emotionaler Belastung fordern.
(1) McAllister, Sue. Pop Singer George Michael Arrested in Restroom of Beverly Hills Park, 9. April 1998.
https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1998-apr-09-me-37715-story.html. Abgerufen am 29.2.2024
(2) Wigley, Lucy. What did George Michael do and why was he arrested? Channel 4 documentary Outed
looks at the late singer’s public coming out. 6. März 2023
https://www.goodto.com/entertainment/what-did-george-michael-do-channel-4-documentary-outed. Abgerufen am 29.2.2024.
(3) Norris, John George Michael’s ‘Outside’ and Its Celebration of Cottaging Is Still Bolder Than Most
Pop Music 20 Years Later. https://www.billboard.com/music/pop/george-michael-outside-video-20-years-later-8458161/.
Abgerufen am 29.2.2024.
(4) Michael, George. Outside. Liedtext. Robobuild Limited.
(5) ebda.
(6) ebda.
(7) In Sieben gegen Chicago (Originaltitel Robin And The 7 Hoods) verwandelt sich eine illegale
Kneipe, ein Speak-Easy der Prohibitionszeit, durch bewegliche Wände in kürzester Zeit in ein Kirche.
(8) Bowes, Peter. George Michael video case dismissed. 17.2.2000. http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/646004.stm.
Abgerufen am 1.3.2024.
(9) ebda.
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