1963
Mir fällt in diesem Zusammenhang immer wieder Sebastian Krumbiegel ein, der mit den Prinzen 1993 "Das ist alles nur geklaut" trällerte. Ob sich das gut 30 Jahre zuvor wohl auch Brian Wilson gedacht hatte, als er Surfin' U.S.A. schrieb? Hoffte er, dass es nicht auffallen würde, oder hielt er sich wirklich für den Komponisten des Songs? Oder was es doch alles nur grenzenlose Naivität? Tatsache ist, dass Wilson als Komponist von Surfin' U.S.A. aufgeführt wurde, und nicht der wahre Urheber.
Wir wissen nicht, wo Chuck Berry Surfin' U.S.A. zum ersten Mal hörte. Man kann sich sein Erstaunen aber gut vorstellen, denn der Titel dürfte ihm zurecht sehr bekannt vorgekommen sein. Handelte es sich doch um nicht viel mehr als eine Coverversion von Berrys Komposition Sweet Little Sixteen, die dieser fünf Jahre zuvor, also 1958, veröffentlicht hatte. Trotzdem ließ sich eben Brian Wilson als Komponist von Surfin’ U.S.A. eintragen. Als der Musikverlag Arc Music, der die Rechte am Song besaß, bei den Beach Boys vorstellig wurde und mit einem Prozess drohte, bekam Berry die Rechte von Murry Wilson, dem Vater und Manager der Wilson-Brüder, zugesprochen. Bei dieser Gelegenheit fielen Berry, beziehungsweise Arc Music auch gleich noch die Rechte am Liedtext zu, was dann des Guten allerdings wohl doch etwas zu viel war. (1)
Dabei war es gar nicht verwerflich, dass sich die Beach Boys bei Chuck Berry, dem einflussreichsten Komponisten und Musiker des Rock'n'Roll bedienten. Viele Musiker, unter anderem auch die Beatles, hatten ihre Karriere damit begonnen, Berrys Rock'n'Roll-Hits nachzuspielen. Eigentlich hatten es die Jungs von den Beach Boys auch gar nicht nötig, zu plagiieren, denn sie waren kreativ genug, um die ganzen Stilmittel des Rock'n'Roll - die Blue Notes und Blues-Akkorde, die riffartigen Strukturen der Melodien, oder die typischen Blues-Licks in den Soli - in einen komplett neuen Sound überzuführen: den Surf-Sound der 1950er Jahre.
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Der hatte vorher schon allein deshalb nicht existiert, weil das Surfen als Massensportart Anfang der 1960er Jahre überhaupt erst aufkam. Dies war durch den technischen Fortschritt und den dadurch bedingten Wechsel von schweren und großen Holzbrettern zu leichten und besser manövrierbaren Surfboards aus Kunststoff überhaupt erst möglich geworden. Um diesen nun massentauglichen Sport entwickelte sich eine Kultur, die ihre musikalische Stimme in den Beach Boys fand.
Zu dieser Kultur gehörten die im Liedtext von Surfin' U.S.A. erwähnten Huarachi sandals, baggy pants und der bushy blonde hairdo ebenso wie die holzbeplankten Autos, die so genannte "Woodies". Untrennbar verbunden war die Surfkultur mit Kalifornien und etablierte den Sonnenstaat damit in den Köpfen der Menschen als als Kultstätte der guten Laune, der gut aussehenden Mädchen und gebräunten muskulösen Jungs. Um dieses Lebensgefühl zu transportieren, werden im Songtext von Surfin' U.S.A. so ziemlich alle Surfspots aufgelistet, die damals angesagt waren, und die bis auf Australia's Narrabeen in New South Wales (Australien) und Waimea Bay auf Hawaii alle in Kalifornien liegen. Diese Idee war aber sicherlich auch wieder von Chuck Berrys Original inspiriert, dessen Liedtext mit einer Auflistung von US-amerikanischen Städten und Bundesstaaten beginnt.
Musikalisch war der Surf-Sound vor allem geprägt vom falsettartigen Close-Harmony-Gesang der vier singenden Bandmitglieder. Mindestens ebenso wichtig war allerdings auch die unaufwändige und bewusst unperfekte und ungekünstelte Produktion der Songs, die wie bei Barbara Ann manchmal klang, wie wenn die Beach Boys im heimischen Wohnzimmer einen Kassettenrecorder mitlaufen hätten lassen. Auf diese Weise konnte man die Musizierfreude der fünf Jungs förmlich spüren; eine Spielfreude, die die Lebensfreude der Jugend im kalifornischen Surfmilieu symbolisierte. Der Sound der Beach Boys war die ideale Gute-Laune-Musik, und damit der perfekte Soundtrack zur Surf-Kultur.
(1) zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Surfin’_U.S.A._(Lied). Quelle: Gold, Todd und Wilson, Brian: Wouldn't It Be Nice: My Own Story, Harpercollins, 1991. Abgerufen am 9.2.2020.
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