1990
Wenn ich Sie frage, welche Worte der russischen Sprache Sie kennen, werde ich wahrscheinlich unterschiedliche Antworten bekommen, je nachdem wie alt Sie sind. Sind Sie schon zwischen 50 und 60 und haben den historischen Zusammenbruch des sozialistischen Systems miterlebt? Dann werden aus Ihnen Vokabeln wie Perestroika (Umbau, Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit) geradezu hervorsprudeln. Sind Sie noch etwas älter, dann wäre wahrscheinlich ein Mir (Frieden, Welt) oder Prawda (Wahrheit) im Angebot. Was können die Jüngeren unter uns beitragen? Gazprom vielleicht, oder Vodka? Aber lassen wir das.
In den Achtzigern auf jeden Fall schaute die ganze Welt in die damalige Sowjetunion, ihre Satellitenstaaten des Ostblocks und auf die drastischen und dramatischen Veränderungen, die sich abzeichneten. Die sich vor allem abzeichneten, seit der sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow die Perestroika, die Zeit des radikalen Umbruchs eigeleitet hatte - und seitdem Glasnost herrschte, gleichbedeutend mit Presse- und Meinungsfreiheit. Nicht dass das alles sofort dagewesen wäre, aber nachdem die ersten Pflänzchen gesetzt waren, war der Trend unumkehrbar.
Denn die Menschen wollten das, was ihnen bisher vorenthalten worden war, was sie nur heimlich konsumieren durften: alles Westliche und vor allem auch westliche Musik. Die Scorpions waren die zweite westliche Hard Rock Band, die 1988 Konzerte in der Sowjetunion geben durfte. Sie spielten in St. Petersburg (das damals ja bekanntlich noch Leningrad hieß) insgesamt 10 Konzerte. Im Jahr darauf kehrten sie zurück und spielten beim Moscow Peace Festival am 12. und 13. August.
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In diesem einen Jahr hatte sich vieles verändert. Klaus Meine erinnert sich, dass sie 1988 noch auf Schritt und Tritt vom sowjetischen Geheimdienst verfolgt worden waren. Im darauffolgenden Jahr waren die Mitglieder der Roten Armee als Security zwar auch allgegenwärtig, aber sie ließen sich von der Atmosphäre bei den Konzerten anstecken. (1)
Das Konzert im August 1989 in der freieren Atmosphäre gab den Anstoß zur Komposition von Wind Of Change, als an einem der Abende alle gemeinsam in einem Boot auf dem Fluss Moskva fuhren – die Musiker aus den unterschiedlichsten Ländern, die Journalisten und die Mitglieder der Roten Armee. Dieses friedliche Gemeinschaftserlebnis inspirierte Klaus Meine zu seiner Vision, dass die Musik als gemeinsame Sprache die ganze Welt in ein Boot bringen kann. (2)
Klaus Meine spürte die historische Bedeutung des Abends, spürte, dass er Teil der Geschichte ist und dass um ihn herum Geschichte gemacht wird. Und er fand die perfekte Metapher dafür: den Wind des Wandels, dem er aufmerksam zuhört, der ihm die Zukunft zuflüstert. Eine Zukunft, in der es keine Grenzen mehr gibt und alle Menschen sich im Geiste vereinen.
Man kann das auch in nackten Zahlen und Fakten ausdrücken: Wind Of Change wurde bis heute weltweit circa 14 Millionen Mal verkauft, war in 78 Ländern in den Charts und in 11 Ländern auf Platz eins. Es gibt neben der originalen sogar auch eine russisch gesungene Version der Scorpions.
Die russische Version hat den Scorpions im Übrigen dann auch den Besuch im Kreml bei Herrn Gorbatschow nebst Gattin beschert. 1991 war das, und worüber hat man sich da wohl unterhalten? Aber sicher, natürlich über Glasnost und Perestroika. So jedenfalls will es Klaus Meine in Erinnerung behalten haben. Worüber hätte man auch sonst reden sollen...
(1) http://www.abendblatt.de/vermischtes/journal/thema/article1210581/ Der-Wende-Hit.html.
Abgerufen am 19.01.2020.
(2) ebda.
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