Die "Douze Etudes" bestehen aus zwei Bänden à sechs Etüden, von denen jede Etüde ein Spezialproblem behandelt. Die ersten sechs Etüden sind den Mechanismen der Finger gewidmet, wohingegen sich die restlichen sechs mit Klängen und Klangfarben beschäftigen.
Nr. | Titel | Übersetzung |
---|---|---|
1 | Pour les "cinq doigts" - d'après Monsieur Czerny | Für die fünf Finger - nach Herrn Czerny |
2 | Pour les tierces | Für die Terzen |
3 | Pour les quartes | Für die Quarten |
4 | Pour les sixtes | Für die Sexten |
5 | Pour les octaves | Für die Oktaven |
6 | Pour les huit doigts | Für die acht Finger |
7 | Pour les degrés chromatiques | Für die chromatischen Fortschreitungen |
8 | Pour les agréments | Für die Verzierungen |
9 | Pour les notes répétées | Für die Tonwiederholungen |
10 | Pour les sonorités opposées | Für die gegensätzlichen Klangwerte |
11 | Pour les arpèges composés | Für die komponierten Arpeggien |
12 | Pour les accords | Für die Akkorde |
Entstanden sind die Etüden im Sommer 1915 und wurden noch 1915 bei Durand veröffentlicht. Sie sind Frédéric Chopin gewidmet.
Die Etüden sind eine Zusammenfassung der technischen Neuerungen, die speziell für die Wiedergabe der Werke Debussys gebraucht werden. Sie sollen auf keinen Fall als technische Übungen im engen Sinne verstanden werden, deren hauptsächliche Berechtigung das Üben von bestimmten Mechanismen ist, sondern im Gegensatz dazu als musikalisch anspruchsvolle Stücke, zu deren Beherrschung die entsprechende Technik notwendig ist. Wie in Debussys anderen Klavierstücken auch, ist vor allem ein präziser, fein abgestufter Anschlag nötig, um den Farbenreichtum in Debussys Musik am Klavier in die entsprechenden Klangfarben umzusetzen. Debussy meinte dazu: "In jedem Fall verhüllen diese Etüden eine strenge Technik unter den Blumen der Harmonie."
Die Etüden stehen damit in der direkten Nachfolge der Etüden Frédéric Chopins, Franz Liszts und Alexander Skrijabins. Sie schrieben Etüden, die über den reinen Übungszweck hinausgingen, musikalisch hochwertig waren und völlig zurecht ihren Platz in der Konzertliteratur gefunden haben. Damit entfernten sie sich von den Etüden ihrer Vorgänger Muzio Clementi, Johann Baptist Cramer, Carl Czerny und Johann Nepomuk Hummel - Namen, die noch heute so manchem ehemaligen Klavierschüler den Schweiß auf die Stirn treiben.
Auf jeden Fall stellen die "Douzes Etudes" einen der letzten großen Beiträge zur Gattung der Etüden dar und sind gleichzeitig der Abschluss von Debussys Klavierwerk.
Aus dem Vorwort zu den Etudes - typisch für Debussy: "Mit Absicht enthalten die vorliegenden Etüden keinerlei Fingersatz. [...] Ein aufgenötigter Fingersatz kann naturgemäß nicht mit der verschiedenen Bildungsweise der Hände übereinkommen. Die moderne Klavierpädagogik hat diese Frage zu lösen gesucht, indem sie mehrere Fingersätze übereinanderschrieb, aber das erschwert die Sache nur. [...] Unsere alten Meister gaben nie Fingersätze an ; sie verließen sich auf das Erfindungstalent ihrer Zeitgenossen. An diesem Talent bei modernen Virtuosen zu zweifeln wäre ungeziemend. Und schließlich: das Fehlen von Fingersätzen ist eine ausgezeichnete Übung. Es unterdrückt in uns den Widerspruchsgeist, der uns dazu verleitet, den Fingersatz des Komponisten lieber nicht zu nehmen und bestätigt jene immergültigen Worte: man ist durch sich selbst immer am besten bedient..."
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