"The Fall of the House of Usher" gilt als eine der meisterhaftesten Kurzgeschichten, die Edgar Allan Poe geschrieben hat. Bis heute fasziniert sie die Leser mit ihrer fantastischen Atmosphäre des sich aus den Abgründen der menschlichen Psyche herleitenden Grauens. Die Geschichte dreht sich um den zusammen mit seiner Schwester in einem alten, dunklen und einsamen Herrenhaus lebenden Roderick Usher, den letzten Sproß eines alten Adelsgeschlechts. Die in diesem Haus ablaufenden Vorgänge besitzen symbolische Bedeutung und berühren von Poe bevorzugte Themen wie die Grenze zwischen Leben und Tod, den menschlichen Wahnsinn, und die Isolation und Weltabgewandtheit.
Claude Debussy wurde auf die Geschichte schon recht früh in der Übersetzung Charles Baudelaires aufmerksam. Der Stoff faszinierte ihn sogleich. Man weiß heute nicht genau, wann er damit begann, die Geschichte in Musik umzusetzen. Der Gedanke muss seit ca. 1890 in seinem Kopf gewesen sein, wie entsprechende Briefstellen belegen. Er scheint anfangs allerdings eine Symphonie geplant zu haben. Die tatsächliche Arbeit an der Oper begann dann wahrscheinlich so um 1908 und zog sich bis in seine letzten Lebensjahre hinein. Wie bei "Pelléas et Mélisande" scheint er um jede Note gerungen zu haben. Die Oper wurde von ihm allerdings nie vollendet, woran ihn neben der mühsamen kompositorischen Arbeit vor allem seine immer stärker werdende Krebserkrankung hinderte. Etwa die Hälfte der Oper - der gesamte 1. Akt und zwei Bilder des 2. Aktes - war fertig geworden, und einiges war noch auf Skizzenblättern notiert.
Die Witwe Debussys, Emma, ging mit den vorhandenen Skizzen auf jeden Fall sehr sorglos um und verschenkte sie großzügig. Erst im Jahr 1976, 58 Jahre nach Debussys Tod, ging der chilenische Komponist Juan Allende-Blin systematisch an die Arbeit und suchte in ausgedehnten Recherchearbeiten die überall verteilten Skizzenblätter zusammen, um sie anschließend zu orchestrieren und zusammen mit dem vorhandenen Material eine spielbare Fassung von "La chute de la maison Usher" herzustellen. Er ließ allerdings die Lücken bestehen, komponierte also keine neue Musik dazu. In dieser Fassung wurde die Oper 1977 konzertant und 1979 szenisch in Berlin uraufgeführt.
Inzwischen ist eine neue Fassung auf der Opernbühne zu hören, die der Engländer Robert Orledge anfertigte. Anders als Allende-Blin komponierte er neue Musik im Stil Debussys hinzu, den er dazu ausgiebig studiert hatte
1976 hatte sich auch Andrew Powell mit der Musik aus "La chute de la maison Usher" beschäftigt. Er stellte eine fünfsätzige orchestrale Suite her, in die er zwischen den originalen Debussy eigene Kompositionen einschob. Er verwendete dazu die Ouvertüre aus "La chute de la maison Usher" fast notengetreu. Veröffentlicht wurde dies auf Alan Parsons Projects Konzeptalbum "Tales of Mystery and Imagination", das sich thematisch mit den Werken Edgar Allan Poes beschäftigte. Warum Debussy als Komponist auf dem Album nicht im geringsten erwähnt wird, ist allerdings unverständlich.
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